Dienstag, 2. August 2016

Wenn dilettantisches Nähen belohnt wird...

... dann bin ich nicht unbedingt stolz drauf, freu mich aber trotzdem darüber :-)

Das Wort „Dilettant“ ist ziemlich negativ besetzt, Wikipedia belehrt mich da eines Besseren:

Dilettant

Ein Dilettant (italienisch dilettare aus lateinisch delectare „sich erfreuen“) ist ein Amateur oder Laie und unterscheidet sich somit von einem Fachmann. Der Dilettant übt eine Sache um ihrer selbst willen aus, also aus Interesse, Vergnügen oder Leidenschaft. Dabei kann er vollendete Kenntnisse und Fertigkeiten erlangt haben...

Als wär’s für mich erfunden worden... :-) mal abgesehen davon, dass die „vollendeten Kenntnisse“ noch auf sich warten lassen. Aber gut, dilettantisch Ding will Weile haben. Ein neugieriger Spaziergänger meinte mal, als er mich im Unkraut wühlen sah, das sähe ziemlich professionell aus. Dem Ahnungslosen hab ich dann gesagt, bestenfalls bin ich ambitionierter Laie. Und damit lebe ich gut, jawoll, beim Gärtnern genauso wie beim Nähen.
Die Liste berühmter Dilettanten ist laut Wikipedia übrigens lang und eindrucksvoll und das Beste überhaupt kommt zum Schluss:

Beispiele für den Dilettanten als Motiv in der Literatur sind...das Dilettantentheater in Shakespeares Ein Sommernachtstraum...

Im Moment hab ich leider einen fatalen Hang zum (schriftlichen) Ausschweifen. Ein weiterer, ausführlicher Post mit dem Stichwort „Mehrwert“ ist bereits in Arbeit.

Nun aber endlich zum ganz speziellen, im Titel dieses Posts angekündigten, Dilettantismus.

Letztes Jahr auf dem Stoffmarkt in Würzburg gekauft, hat mich der Leinenstoff mit dem schönen Farbverlauf von weiss nach anthrazit schon lange gereizt:


Auf dem Foto sieht der Stoff zwar blau aus, aber den Farbverlauf kann man doch ganz gut erkennen.

Mir geht's wie vielen anderen auch, manchmal dauert es einfach, bis sich die richtige Verwendung für einen Stoff findet. Im Post hatte ich ja schon geschrieben, dass ich mir nicht so sicher war, ob ich die Streifen quer oder längs haben wollte. Die Frage hat sich jetzt nicht mehr gestellt, unbedingt längs und asymmetrisch schwebte mir vor. Und hatte natürlich keine Ahnung, ob ich bei dem Stoff einfach die Richtung ändern kann, ohne dass sich alles unförmig verzieht.

Beherzt alle Bedenken beiseite geschoben und siehe da: alles bleibt, wo es sein soll, auch nach dem Waschen.

Da die Temperaturen seit einigen Tagen gleichbleibend sommerlich sind, wollte ich gerne eine Leinentunika haben. Jahrelang hab ich eine heissgeliebte weisse, gekaufte Tunika getragen, bis sie zu schäbig wurde.

In der Burda 06/2011 fand ich DEN perfekten Schnitt für eine neue Lieblingstunika:

Vermutlich hab ich ihn damals auch gleich kopiert, denn das mache ich seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr. Obwohl es sehr viel vernünftiger war, als downloaden. Als ich noch Schnitte mühsam vom Schnittbogen kopieren musste, war das Schnittmusterlager noch etwas überschaubarer. Schneller vernäht wurden die Schnitte trotzdem nicht, wie dieses Beispiel beweist ;-)

So genau hatte ich den Schnitt nicht mehr in Erinnerung, er eignet sich wegen der vielen Teilungsnähte besser für einfarbige Stoffe. Übernommen habe ich nur die Ärmellösung. Wie ich den Armausschnitt des Burdaschnitts übertragen habe, das überlasse ich eurer Phantasie, davon konnte ich zum Glück kein Foto machen.
Für Vorder- und Rückenteil hat mir der Schnitt eines gekauften Leinenkleides gedient. Beim Zuschneiden hab ich ungefähr fünf Zentimeter in der Weite zugegeben, weil ich ohne Reissverschluss auskommen wollte.

Professionell war’s nicht, aber funktioniert hat wider Erwarten auch das.

Die Ärmel wollte ich gern ein bisschen passend zum Muster haben, also anthrazit stösst auf anthrazit und weiss auf weiss. Und wer sagt’s denn, meinen üblichen Dilettantenfehler hab ich diesmal übersprungen: zwei Ärmel in derselben Richtung zuzuschneiden.

Die unterschiedlichen Saumlängen vorne und hinten hab ich sehr gut durchdacht, nur um dann doch hinten ohne die Zugabe zuzuschneiden... Ich würde ja sagen: weniger Nachdenken könnte die Lösung sein. Aber diese Richtung will ich mit dem Nähen eigentlich nicht nehmen... Hach...

Nach der Fertigstellung beschlich mich kurz das Gefühl, dass die Ärmel doch ein bisschen weiter hätten sein dürfen. Aber nach dem ultimativen Tragetest (12 Stunden im Büro) finde ich sie absolut bequem.

Fazit nach so viel Dilettantismus: es gibt nix zu meckern. Selten bei mir, sehr selten.

Leider war ich so bei der Sache, dass ich nur ein einziges Entstehungsbild zeigen kann und auch das ist etwas dunkel. Seht ihr die Nadeln für die Ärmelansatzpunkte? Kann man noch fauler sein?! :-)


Eigentlich hätte ich mit der Tunika noch beim letzten MeMadeMittwoch vor der Sommerpause mitmachen können, hätte ich brauchbare Tragefotos gehabt. Da mein Urlaub aber leider längst vorbei ist und ich keinen Koffer mehr packen darf, reiche ich das heute nach. Bei Shopping-Queen steht übrigens diese Woche die Tunika im Mittelpunkt :-)  


Die weisse Seite:


... und die anthrazitfarbene Seite:


Die Ausschnittlösung hab ich übrigens auch (zum Teil) vom Burdaschnitt übernommen, an den Ärmel aber nur einfache Schlitze genäht:



 


Der Ausschnitt ist nicht schief, dass liegt nur an der Fotografierhaltung...


Etwas tiefer hätte er sein dürfen, aber so ist er absolut bürotauglich :-)

Fazit: schnell genäht, schneller Erfolg, aber gewissenhaftes Nähen schont die Nerven und macht auch Spass! Einen schönen, sonnigen Tag euch allen...